Ab in die Lern- und Hochleistungszone: Was psychologische Sicherheit bewirkt
Stellen Sie sich vor: In einem entscheidenden Meeting wird aus Angst, uninformiert zu wirken, eine kritische Frage nicht gestellt. In einem anderen Fall wird ein Fehler lieber verschwiegen, um mögliche Kritik zu vermeiden. Die Folgen sind fatal: Probleme bleiben ungelöst, Chancen ungenutzt und Entscheidungen beruhen auf unvollständigen Informationen. Genau hier setzt psychologische Sicherheit an, denn sie schafft einen Raum, in dem Menschen offen ihre Meinung äußern können.
Der Begriff der psychologischen Sicherheit geht auf Amy Edmondson zurück und beschreibt eine Kultur, in der Menschen ohne Angst vor Spott, Kritik oder Bestrafung offen Ideen teilen, Bedenken äußern und Fehler eingestehen können.
Psychologische Sicherheit ist einer der entscheidenden Faktoren für erfolgreiche Teams, insbesondere in einer immer komplexeren und dynamischeren Arbeitswelt. Zahlreiche Studien zeigen, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit offener kommunizieren, agiler sind und innovativer handeln. Fehlende Sicherheit führt dagegen oft dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich zurückziehen, Probleme verschweigen oder Risiken vermeiden. Dadurch gehen Unternehmen Qualität und Kreativität verloren. Doch wie erreicht man ein Klima der psychologischen Sicherheit, ohne dass Verantwortung und Leistungsdruck auf der Strecke bleiben?
Im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Verantwortung
Aus der Perspektive vieler Führungskräfte ergibt sich hier ein Spannungsfeld zwischen psychologischer Sicherheit und Leistungsdenken. Psychologische Sicherheit bedeutet jedoch nicht, Harmonie um jeden Preis zu erzwingen oder eine „Wohlfühl-Zone“ zu schaffen, in der Konflikte vermieden werden. Vielmehr eröffnet sie den Raum für konstruktive Diskussionen und einen respektvollen Umgang. Insbesondere darf Sicherheit nicht mit Bequemlichkeit verwechselt werden. Psychologische Sicherheit soll Mut fördern, nicht Nachlässigkeit. Gleichzeitig sollte das Streben nach Leistung beibehalten werden, ohne ein Klima der Angst zu erzeugen, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem vermeiden, negativ aufzufallen. Amy Edmondson beschreibt in ihrem Modell hierfür vier Zonen, die aus dem Zusammenspiel von psychologischer Sicherheit und Verantwortungsniveau entstehen:
- Apathie-Zone: Geringe Sicherheit, geringe Verantwortung – Engagement und Leistung bleiben aus.
- Angst-Zone: Geringe Sicherheit, hohe Verantwortung – Menschen arbeiten unter Druck, Fehler werden vertuscht.
- Wohlfühl-Zone: hohe Sicherheit, geringe Verantwortung – das Team versteht sich gut, es fehlt jedoch der Leistungsantrieb.
- Lern- und Hochleistungszone: hohe Sicherheit und hohe Verantwortung – hier entstehen Innovation, kontinuierliche Verbesserung und echte Spitzenleistung.
Das Ziel ist klar: Unternehmen benötigen Teams, die in der Lern- und Hochleistungszone arbeiten. Der Weg dorthin führt über eine Kultur, die sowohl Vertrauen als auch klare Leistungsstandards fördert. Dabei übernehmen Führungskräfte eine Schlüsselrolle.
Tipps für die Praxis
Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen und welche Hürden gilt es dabei zu überwinden? Diese Punkte sollten dabei unbedingt beachtet werden:
- Klare Erwartungen: Verantwortung entsteht nicht durch Druck, sondern durch klare, gemeinsame Zielvereinbarungen. Die Teams kennen die Unternehmensziele, wissen, welche Standards gelten und mit welchen Maßnahmen sie ihre Ziele erreichen können.
- Feedback-Kultur: Fehler und Lernerfahrungen werden konstruktiv besprochen. Kritik ist sachorientiert und zielt auf Verbesserung, nicht auf persönliche Abwertung ab.
- Führungskraft als Vorbild: Führungskräfte gehen selbst offen mit Fehlern um, geben zu, wenn sie etwas nicht wissen und zeigen, wie man Verantwortung übernimmt.
- Sprache: Vertrauen und psychologische Sicherheit werden im Alltag konkret durch die Sprache geprägt, wofür es Aufmerksamkeit, Rhetorik und professionelle Kommunikationstechniken erfordert.
- Meeting-Moderation: Es geht darum, gezielt Raum für alle zu schaffen, damit dominante Stimmen die Diskussion nicht beherrschen.
Psychologische Sicherheit und Verantwortung sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Sicherheit eröffnet den Raum für Lernprozesse, während Verantwortung dafür sorgt, dass dieser Raum zu Fortschritt und Leistung führt. Erst das Zusammenspiel beider Faktoren bringt Teams in die Lern- und Hochleistungszone und macht sie fit für die Herausforderungen einer sich stetig verändernden Arbeitswelt.
In der aktuellen Lage
Gerade in einer angespannten wirtschaftlichen Lage ist psychologische Sicherheit wichtig. Wenn die Unsicherheit zunimmt, sich die Märkte verändern und alle Mitarbeitenden die Veränderungen spüren, geraten Teams schnell in die Angst- oder Apathie-Zone. Sie möchten Fehler vermeiden, wagen es nicht, Risiken einzugehen oder Probleme anzusprechen. In der Folge bleiben Innovation und Eigeninitiative der Mitarbeitenden aus, gerade dann, wenn sie am dringendsten benötigt werden. Schafft man es, gerade jetzt ein psychologisch sicheres Arbeitsklima aufzubauen, übernehmen Menschen Verantwortung und trauen sich, den Fortschritt in die eigene Hand zu nehmen. Dadurch wird die Balance zwischen Sicherheit und Verantwortung zu einem Wettbewerbsvorteil. Denn nur Teams, die beides vorweisen können, bleiben in der aktuellen Lage handlungsfähig.
Psychologische Sicherheit ist also kein Selbstzweck, sondern eine Voraussetzung dafür, dass Verantwortung wirksam werden kann. Sie schafft die Basis, auf der Teams mutig denken, handeln und voneinander lernen. Führung bedeutet somit nicht, Sicherheit statt Leistung zu fördern, sondern Sicherheit als Fundament für Leistung zu begreifen. Wo Menschen sich trauen, Verantwortung zu übernehmen, entstehen Innovation, Qualität und effektive Zusammenarbeit. Der Weg dorthin bleibt allerdings eine Führungsaufgabe.
RWTkompakt Ausgabe Januar 2026