Deutschland bekommt ein Unternehmensstrafrecht

Im Windschatten der Coronakrise kündigt sich eine tiefgreifende Änderung des deutschen Strafrechts an. Diese wird zu Handlungsdruck für Unternehmen führen, interne Compliance-Regelungen zu entwickeln und zu implementieren bzw. vorhandene auf den Prüfstand zu stellen.

Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft

Die Bundesregierung hat am 16. Juni 2020 den vom Bundesjustizministerium vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (im Wesentlichen bestehend aus dem neuen Verbandssanktionengesetz, kurz VerSanG-E, sowie punktuellen Änderungen bestehender Gesetze) beschlossen. Der Gesetzentwurf befindet sich damit auf dem Weg durch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren.

Nach dem Verbandssanktionengesetz sollen zukünftig (auch) Unternehmen in der Form juristischer Personen oder rechtsfähiger Personengesellschaften bestraft werden können, wenn sich deren Leitungspersonen oder Mitarbeiter in Wahrnehmung unternehmerischer Angelegenheiten oder im Rahmen ihres Dienstverhältnisses nicht gesetzeskonform verhalten.

Legalitätsprinzip

Nach dem Gesetzentwurf soll das Legalitätsprinzip gelten, also ein Verfolgungszwang für die Strafverfolgungsbehörden, gegen Unternehmen Ermittlungen einzuleiten, sofern ein Anfangsverdacht besteht. Bislang standen solche Ermittlungen gegen Unternehmen im Rahmen von Ordnungswidrigkeitsverfahren lediglich im Ermessen der Behörden, jetzt werden sie zur Straftat (nachfolgend: „Verbandstat“) erhoben. Dies gilt selbst dann, wenn die Tat etwa durch einen nichtleitenden Angestellten im Ausland (z.B. durch Vorteilsnahme, Vorteilsgewährung, Marktmanipulationen oder Preisabsprachen) begangen wird. Neben Vermögens- und Steuerdelikten sollen auch strafbare Menschenrechtsverletzungen, Umweltdelikte und weitere Straftaten Verbandstaten darstellen, wobei die Strafbarkeit nach deutschem Recht genügen soll.

Empfindliche Verschärfung des Sanktionsrahmens

Vorgesehen ist auch eine empfindliche Verschärfung des bislang für Unternehmen geltenden Sanktionsrahmens. Die begrifflich neu definierten „Verbandsgeldsanktionen“ haben bei Unternehmen, deren durchschnittlicher Jahresumsatz mehr als 100 Millionen Euro beträgt eine Obergrenze von 10 % des durchschnittlichen Umsatzes aus den letzten drei Geschäftsjahren vor der Verurteilung. Bei den übrigen Unternehmen liegt diese Obergrenze bei bis zu 10 Millionen Euro. Bei Verbänden, die als wirtschaftliche Einheit operieren (Konzernverbund unter einheitlicher Leitung) wird auf den weltweiten Umsatz aller Beteiligten abgestellt.

Im Falle einer großen Zahl von Geschädigten kann durch ein Gericht darüber hinaus die öffentliche Bekanntmachung der Verbandstat angeordnet werden (sog. „Prangerwirkung“).

Von der Verbandstat zur Verbandssanktion

Handelt es sich beim Täter um einen Mitarbeiter der Leitungsebene führt die Verbandstat künftig unmittelbar zur Verbandssanktion. Ist der Mitarbeiter kein Mitglied der Leitungsebene, wird durch die Staatsanwaltschaften ermittelt – und später im Gerichtsverfahren bewertet – ob die Tat durch unzulängliche Compliance-Maßnahmen überhaupt erst ermöglicht wurde. Das heißt, ob die Leitungspersonen des Unternehmens es unterlassen haben, rechtliche Risiken im Rahmen eines Compliance-Managements zu identifizieren und angemessene Vorkehrungen gegen diese Risiken in ihrem internen Kontrollsystem (wie z.B. Funktionstrennungen in kritischen Bereichen) zur Verhinderung oder Erschwerung von Verbandstaten zu treffen. (siehe Grafik, hier klicken)

Compliance-Management-System zur Sanktionsmilderung

Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der Sanktionsmilderung vor. Ein angemessenes und wirksames Compliance-Management-System soll bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion vom Gericht objektiv gewürdigt werden. Dies kann von einer Reduzierung der Verbandsgeldsanktion bis hin zur Einstellung des Strafverfahrens gegen das Unternehmen reichen. Ein nicht vorhandenes bzw. unzureichendes Compliance-Management-System kann andererseits zu einer Sanktionsverschärfung führen.

Laut Entwurfsbegründung sollen bei kleinen und mittleren Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen auch wenige einfache Maßnahmen (z.B. größenangemessenes internes Kontrollsystem, anlassbezogene Prüfungen) ausreichend sein. Große Unternehmen werden jedoch nicht umhinkommen, ein Compliance-Management-System zu implementieren. Eine Zertifizierung nach Prüfungsstandard (PS) 980 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zur unabhängigen externen Beurteilung bietet die notwendige Sicherheit, dass künftig eine objektive gerichtliche Würdigung des Compliance-Management-Systems positiv ausfällt und sich somit strafmindernd auswirkt.

Der Gesetzentwurf selbst enthält übrigens keine eigene Größendefinition, so dass aller Voraussicht nach § 267 HGB heranzuziehen sein wird. Demnach sind große Gesellschaften solche, die mindestens zwei der folgenden drei Merkmale erfüllen: 40 Mio. Euro Umsatzerlöse, 20 Mio. Euro Bilanzsumme, mehr als 250 Arbeitnehmer.

Verbandsinterne Untersuchungen zur Sanktionsmilderung

Eine weitere Möglichkeit zur Sanktionsmilderung besteht dann, wenn Unternehmen oder durch sie beauftragte Dritte mittels verbandsinternen Untersuchungen vor Eröffnung des Hauptverfahrens wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Verbandstat aufgeklärt werden konnte und – kooperativ und effektiv – ihre Untersuchungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörde zur Verfügung gestellt haben.

Der Gesetzentwurf nennt sechs Prinzipien, nach denen diese internen Untersuchungen zu erfolgen haben, beispielsweise wie mit Mitarbeitern bei Interviews im Zuge der Aufklärung umzugehen ist (sog. Fairnessprinzip). Werden diese Prinzipien nicht erfüllt oder werden die Ergebnisse einer solchen Untersuchung vom Unternehmen zu spät herausgegeben, ist eine Milderung der Verbandsgeldsanktion ausgeschlossen. Kooperiert das Unternehmen früh und umfassend mit den Ermittlungsbehörden, kann gegebenenfalls sogar ganz von einer weiteren Verfolgung der Verbandstat abgesehen werden.

Was müssen Sie tun?

Das Verbandssanktionsgesetz soll laut Entwurfsfassung mit einer Frist von voraussichtlich zwei Jahren nach dessen Verkündung in Kraft treten.

1. Insbesondere große Unternehmen sollten rechtzeitig damit beginnen, ihre Risiken zu analysieren und die erforderlichen Compliance-Strukturen zu schaffen oder bestehende Strukturen in punkto Effektivität unter die Lupe zu nehmen. Sinnvoll ist die Einführung eines (größen-)angemessenen Compliance-Management-Systems nach IDW PS 980 (im Idealfall mit anschließender Zertifizierung). Für die Einführung sollte ein Zeithorizont von mindestens einem Jahr eingeplant werden. Bis das System tatsächlich wirksam und damit prüfungsfähig ist, vergeht in der Regel weitere Zeit.

2. Zur Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen ist es sinnvoll eine Interne Revision im Unternehmen zu etablieren. Diese hat nach den Kriterien der Unabhängigkeit und Objektivität zum einen die Angemessenheit des Compliance-Management-Systems zu beurteilen sowie die Einhaltung der getroffenen Maßnahmen regelmäßig zu überprüfen und auf Schwachstellen hinzuweisen, zum anderen muss sie im Ernstfall in der Lage sein, unter Einhaltung der Prinzipien des Verbandssanktionengesetzes, kompetent und zügig mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Eine Interne Revision kann sowohl in Form der Gründung einer eigenen Revisionsabteilung (Establishing) als Stabsfunktion der Leitungsebene als auch in Kooperation mit einem externen Anbieter in den Formen des Co- oder Outsourcings erfolgen.

Wir stehen Ihnen zu diesen beiden Punkten mit unserem interdisziplinären RWT Governance-, Risk- und Compliance-Team erfahren und mittelstandsorientiert zur Seite.

 

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